OPERNGALA UNTER DER LEITUNG VON CHRISTOPHER WEIK: EIN FEST DER MELODIEN UND STIMMEN!
Was werden Kulturhistoriker irgendwann einmal über die Jahre 2020 und 2021 schreiben? Vielleicht ja dies: Der Verzicht auf das opulente, sinnliche, überbordende Erlebnis eines Opernbesuchs war wohl schmerzhafter und die Seelen bedrohender als der auf Urlaubsfernreisen; denn der Nicht-Opernbesuch eliminierte ein elementares Puzzleteil dessen, was wir wirklich tiefen Lebenssinn nennen. Mit dieser Operngala holt das Göttinger Symphonieorchester nun ein Stück des schmerzlich Entbehrten zurück und ruft das Publikum auf: Feiern wir gemeinsam diese Chance auf eine Rückeroberung von Musik, Gesang und Spiel! Tickets sind auf der Homepage des GSO unter www.gso-online.de sowie an allen bekannten VVK-Stellen erhältlich.
Wie könnte eine solche Wiederauferstehung anders beginnen als mit der wohl bekanntesten Oper der Welt, mit Wolfgang Amadeus Mozarts »Die Zauberflöte«? Und wie anders als mit der unvergleichlichen Rolle der Königin der Nacht, die sich hier zunächst mit den Worten »O zittre nicht« beschwichtigend an Prinz Tamino wendet, um sich später mit »Der Hölle Rache« in die wohl bekanntesten Sopran-Hochlagen der Musikgeschichte aufzuschwingen. Das Begrüßungslied des Vogelfängers können seit mittlerweile zwei Jahrhunderten schon die Kinder auswendig mitsingen. Mit »Bei Männern, welche Liebe fühlen« hören wir Pamina (mit Papageno im Duett) voller Liebeshoffnung und in »Ach, ich fühl’s, es ist verschwunden« voller Liebesschmerz. Ein Leben ohne Mozart wäre vielleicht möglich, aber sinnlos.
Es folgt zarteste Musik von Richard Wagner, die beinahe nicht von Richard Wagner zu stammen scheint. Wolframs zutiefst romantisches Lied von der Todesahnung – und dabei vor allem der zweite »Abendstern«-Teil – ist so gar nicht überwältigend-opernhaft wie sonst vom Komponisten gewohnt, sondern kommt mit der überaus klaren Lied-Struktur wie ein getragenes Volkslied daher. Hach, schön! Zurück zu Mozart – und seiner mitunter recht wilden, türenschlagenden Opera buffa »Hochzeit des Figaro«. Während des Terzetts von Graf, Gräfin und Susanna »Susanna, or via, sortite« (in etwa: »Susanna, jetzt geh!«) befinden sich die stets leicht überdrehten Protagonisten typischerweise in Zimmern, Kammern, Garderoberäumen, deren Türen offen, geschlossen und abgeschlossen sein können. Dies wiederum ist zwar (fast) sinnlos, macht aber ungehörig viel Spaß!
Die theatrale Vorgeschichte dieser Hochzeitsoper aus der Feder von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais vertonte Gioachino Rossini mit seinem nicht minder bekannten und beliebten »Barbier von Sevilla«. Neben der mitreißenden Ouvertüre hören wir daraus das leicht selbstverliebte Figaro-Lied »Largo al factotum« vom Beginn der Oper, das der Barbier unter dem Balkon Rosinas anstimmt. Weitaus dunkler geht es in Giuseppe Verdis Meisterwerk »La Traviata« zu, in der die Hauptfigur Violetta Valéry, eine Kurtisane, an der Tuberkulose stirbt. Im ersten Akt wundert sie sich mit »È strano! è strano!« (Es ist seltsam), dass sie sich völlig unbeabsichtigt in Alfredo Germont verliebt hat.
Nach einem beinahe waghalsigen Genre-Wechsel landen wir dann bei Engelbert Humperdinck, dessen »Hänsel und Gretel« in der deutschen Märchenoper-Tradition der »Zauberflöte« steht. Mit »Der Besen, der Besen« aus dem ersten Akt der Humperdinck-Oper warnt der Vater seine Kinder vor der Hexe. Dass mitunter Warnungen vor der berauschenden, den Hörer in einen emotionalen Strudel hineinziehenden italienischen Oper angebracht sind, beweist nicht zuletzt Giacomo Puccini mit seinem Evergreen »Tosca«, aus dem wir die schmerzliche Hauptfigur-Arie »Vissi d'arte« hören.
Das Finale dieser Gala bleibt jedoch der leichten Muse vorbehalten. Mit »Candide« schuf Leonard Bernstein, dieses Musik-Genie des 20. Jahrhunderts, mitten in den Fünfzigern nach einer Voltaire-Vorlage ein so wirres, überdrehtes Musical, das man sich kindlich-beglückt die Ohren putzt. Schon die Ouvertüre macht mehr als Freude, und aus dem Kunigunde-Song »Glitter and be gay« wurde im Laufe der Jahrzehnte ein echter Hit.
Auszüge aus:
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791): »Die Zauberflöte« und »Le nozze di Figaro«
Richard Wagner (1813-1883): »Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg«
Gioacchino Rossini (1792-1868): »Il barbiere di Siviglia«
Giuseppe Verdi (1813-1901): »La Traviata«
Engelbert Humperdinck (1854-1921): »Hänsel und Gretel«
Giacomo Puccini (1858-1924): »Tosca«
Leonard Bernstein (1918-1990): »Candide«
Solist*innen: Natallia Baldus (Sopran), Lynn Feyereisen (Sopran), Frederik Baldus (Bariton)
Dirigent: Christopher Weik
Göttinger Symphonieorchester
